19.08.2015
von Jörg Endries Quelle: Volksstimme
Sintflutartig hat es am Sonntagabend in und um Halberstadt geregnet. In nur 60 Minuten fallen 60 Liter Wasser pro Quadratmeter im Bereich der Kläranlage, informiert Thomas Valentin, Geschäftsführer der Abwassergesellschaft Halberstadt, auf Volksstimme-Anfrage. Das sei etwa ein Zehntel der Jahresniederschlagsmenge, die mit 500 bis 600 Litern für die Region angegeben wird. Am Zulauf der Kläranlage wurden in der Zeit von 20.30 bis 0.30 Uhr 12.000 Kubikmeter Wasser registriert. über Stunden sind die Feuerwehren im Einsatz, um Keller auszupumpen.
Gegen 19.30 Uhr wird in der Feuerwache Halberstadt Alarm ausgelöst. Hilferufe aus dem gesamten Stadtgebiet gehen bei der Feuerwehr ein. Bis gegen 1 Uhr am Montag rücken die Kameraden zu insgesamt 52 Notrufen aus, berichtet Feuerwehrchef Jörg Kelle. “Die hauptberufliche Wachbereitschaft und alle Ortswehren kommen zum Einsatz, um der Extremlage Herr zu werden. Insgesamt 45 Kameraden”, sagt Jörg Kelle. Schwerpunkte habe es nicht gegeben. über das gesamte Stadtgebiet verteilt stehen Keller unter Wasser.
Jörg Kelle ist sauer. Nicht zum ersten Mal saufen in Halberstadt Keller ab, weil die Gebäude unzureichend oder gar nicht gegen diese Extrem-Wetterereignisse gesichert sind. Sogenannte Rückschlagklappen sind nicht montiert oder defekt. Diese Klappen schließen den Kanalanschluss der Häuser, wenn sich in den Entsorgungskanälen wie am Sonntag das Wasser staut. “Die Hauseigentümer sind laut Abwassersatzung der Stadt dazu verpflichtet, ihr Eigentum durch den Einbau einer Rückschlagklappe vor Wasserschäden zu sichern. Leider ist dies bis heute noch nicht überall erfolgt oder die Leute kümmern sich nicht um die regelmäßige Wartung der Klappen”, so Jörg Kelle. Das Ergebnis: Keller stehen unter Wasser, wenn es kräftig regnet. “Würde jeder Eigentümer seiner Pflicht nachkommen, könnten diese meist teuren Wasserschäden vermieden werden”, sagt Jörg Kelle. Er plädiert dafür, die Hauseigentümer zum Einbau der Klappen zu zwingen. Nicht nur, um Schäden zu vermeiden, sondern, um auch die Arbeit der Feuerwehren zu erleichtern. Derzeit wird überprüft, zumindest alle Hausbesitzer anzuschreiben.
“Viele Immobilienbesitzer sind 2014 wach geworden, als nach einem ähnlichen Unwetter in Halberstadt viele Keller unter Wasser standen”, berichtet Thomas Valentin. Am 29. Juli vergangenen Jahres wurden am Mischwasserabschlag in die Holtemme im Bereich “Am Bullerberg” in der Zeit von 8.50 bis 11.40 Uhr 16.500 Kubikmeter Regenwasser gemessen. Die Feuerwehren wurden damals zu 54 Einsätzen gerufen. Zahlreiche Keller waren überflutet, weil die Rückschlagklappen fehlten.
Besonders schwer hat es das Kino in der Zuckerfabrik getroffen. Gegen 20.15 Uhr seien große Mengen Wasser in den Vorraum eingedrungen, berichtet Theaterleiter Andreas Berkling. Grund ist, dass das Kino unterhalb des Gehwegniveaus liegt. Zwar nutzt das Kino schon Hochwasserschutzwände, diese konnten das Wasser aber nicht stoppen. Während das Wasser im Foyer knöchelhoch stand, saßen die Gäste nichtsahnend im Kinosaal. Einen Grund, die Vorstellungen zu unterbrechen, habe es trotz des Wassers nicht gegeben, sagt Berkling. Die Besucher hätten nach Ende der Vorführung das Gebäude über die Notausgänge verlassen. Die Feuerwehr habe er nicht gerufen. Mit Pumpen und Gummibesen seien er und seine Kollegen ausgekommen. Noch am gestrigen Montag war der Teppichboden im Kino durchnässt, Arbeiter waren mit der Trocknung beschäftigt. „Trotzdem geht der Kinobetrieb weiter”, sagt Andreas Berkling. Technik sei nicht zu Schaden gekommen, und der Teppich könne getrocknet werden.
Thomas Valentin weist darauf hin, dass die Abwassergesellschaft Kunden auf Anfrage zum Thema Rückschlagklappeneinbau berät. “Bei einem Vor-Ort-Termin geschieht dies sogar kostenfrei”, betont der Geschäftsführer. Die Kosten für den Einbau können zwischen ein paar hundert bis zu einigen tausend Euro liegen. Pauschal könne man keine Summe nennen, weil meist individuelle Lösungen gefunden werden müssen. Per Gesetz könne man niemanden zum Klappeneinbau zwingen. Allerdings kann sich Thomas Valentin gut vorstellen, dass Versicherungen bei Wasserschäden genau hinschauen, ob Klappen eingebaut sind, die die Schäden verhindern können.