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Brand im Obdachlosenheim vom 02.12.2005 wurde nachgestellt

21.04.2006

 “Stationen klar?”, ruft Klaus Steinbach in die Runde seiner Mitarbeiter. “Wasser? Monitore? Video?” Alles ist bereit für die nicht alltägliche Rekonstruktion eines Feuers, das Ende 2005 neun Menschenleben gefordert hat und dessen Ursache bis heute nicht klar ist.
Dann geht der Fachmann vom Landesinstitut der Feuerwehr in Heyrothsberge in den 5,66 x 2,40 x 2,40 Meter großen blechummantelten Raum. Er ist dem Zimmer 12 des Obdachlosenheims nachgestaltet worden. Von dort hatte sich am 2. Dezemher das Feuer ausbreitet. “Das wissen wir mit Sicherheit”, so Halberstadts Oberstaatsanwalt Helmut Windweh. “Doch ob der Brand durch eine Zigarette des Bewohners entstand, wie er erst zugegeben, dann jedoch widerrufen hat, oder durch einen Defekt am Fernseher, ist nicht sicher.”
Windweh hofft, durch die 12 000 Euro teure Rekonstruktion Aufschluss über die Brandursache zu bekommen und spricht vom “letzten Strohhalm”. Brandexperte Steinbach ist weniger optimistisch. “Wir stellen heute das Feuer nach, wie es durch den Brand des Fernseher entstanden ist. Dabei werden Brandausbreitung, Raumtemperatur, Rauchgaszusammensetzung und -menge gemessen.” Die Daten werden in einem mobilen Labor wenige Meter neben dem Container gesammelt und ausgewertet.
Steinbach entzündet ein Teelicht und stellt es unter das TV-Gerät in der linken Fensterecke des Raums. Kühlschrank, Tisch, Couch – die gesamte Einrichtung entspricht von Abmessung und Art der verbrannten Originaleinrichtung. Eine Kriminalistin der Halberstädter Mordkommission hatte monatelang auf Altmöbelmärkten gesucht, bis sie entsprechende Stücke fand.
Dicke Kabelschlangen, feuerfest umwickelt, führen von den Messstationen in den nachgebauten Flur. Dort ist auch eine hitzebeständige Endoskopkamera angebracht, die die Ausbreitung der Flammen aufnehmen soll.
20 Minuten nachdem Steinbach den Raum verlassen hat, kräuseln sich die ersten hellen Wölkchen links vom Fenster, Das Feuer greift schnell um sich. Der Teppichboden brennt, wenig später schlagen die Flammen bis zur Deckentäfelung. Aus dem Wölkchen ist nach 30 Minuten eine dicke schwarze Qualmwolke geworden. Plastikdämpfe nehmen den Atem. Die Feuerwehrleute können nur mit Schutzmasken arbeiten. Die Fensterscheibe beginnt zu knistern. Dann rauscht krachend der Rolladen herunter. Die Flammen haben den Seilzug durchtrennt. Die Hitzeexplosion sprengt die Jalousie. Ein gelbroter Feuertornado dreht sich aus der Fensterhöhle. Die Messgeräte zeichnen eine Temperatur von 1000 Grad auf. Die Tür zum Flur hängt nur noch in einem Scharnier. Die Flammen schlagen an drei Stellen durchs Außenblech und züngeln an der Trennlinie zwischen Dach und Seitenteilen.
Rechtsmediziner Rüdiger Schöning, der am 2. Dezember 2005 in Halberstadt die Leichenschau durchgeführt hat, meint: “jetzt wird völlig klar, warum die Menschen nicht mehr herauskamen. Nach wenigen Sekunden waren sie durch die giftigen Dämpfe handlungsunfähig.”
Ob sie vielleicht doch eine Chance gehabt hätten, sich in Sicherheit zu bringen, ist eine weitere Frage, die das Gutachten beantworten soll. Mehrere Wochen werde es dauern, bis die Rekonstruktion ausgewertet ist, sagt Steinbach, der die Bewertung der Ergebnisse den Brandsachverständigen der Polizei überlassen will. Nur so viel sei sicher: “Sowohl Zigarette als auch Elektrodefekt sind schlüssig.”
Die Staatsanwaltschaft will das Brandgutachten von Halberstadt mit dem Elektrobrand-Versuchsablauf von Heyrothsberge vergleichen, um Anhaltspunkte zu finden.
45 Minuten nachdem Steinbach das Teelicht unter den Fernseher gestellt hat, wird der Container gelöscht. Die Einrichtung ist nur noch ein schwarzverkohltes Durcheinander.

Quelle: Halberstädter Volksstimme


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  • Die Einrichtung des Containers 12, rechts der Fernseher. Foto: Volksstimme
  • Nachgestellter Brand auf dem Gelände der Brand- und Katastrophenschutzschule der Feuerwehr in Heyrothsberge. Foto: Volksstimme
  • Der nachgebaute Container steht nach 30 Minuten vollkommen in Flammen. Foto: Volksstimme
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